#StolenMemory in Paris: Familien von drei KZ-Häftlingen erhalten Erinnerungsstücke zurück

Zusammen mit Freiwilligen haben Mitarbeiter*innen der Arolsen Archives die Familien von drei Verfolgten aus Frankreich gefunden. Eingeladen zur Rückgabezeremonie hatte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Für Kabir Boucif war es ein besonderer Moment, die Uhr und den Siegelring seines ermordeten Urgroßvaters zurückzubekommen.

„Nun kommt die Wahrheit ans Licht – sie wird nach vielen Jahren wiederhergestellt.“ Kabir Boucif erfuhr von den Arolsen Archives, dass sein Urgroßvater Rabia Boucif nicht, wie lange angenommen, seine Familie im Stich gelassen hatte, sondern von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet worden war. Für den jungen Mann und seinen Vater heilt die Rückgabe der persönlichen Gegenstände von Rabia damit eine tiefe Wunde in der algerisch-französischen Familiengeschichte.

Von den Nationalsozialisten in Frankreich verhaftet und ins Konzentrationslager Neuengamme verschleppt

Rabia Boucif wurde Mitte der 1890er Jahre in Constantine in Algerien geboren. Er hatte acht Kinder und kam als Bergarbeiter nach Saint-Étienne in Frankreich. Wieso er im Dezember 1943 verhaftet wurde, ist unbekannt. Rabias Familie in Algerien erfuhr nichts von seiner Verhaftung und nahm an, dass er sie verlassen und ein neues Leben in Frankreich angefangen habe. Tatsächlich nahmen die deutschen Besatzer ihn fest, verschleppten ihn über das Gefängnis von Lyon und das Durchgangslager Compiègne schließlich in das Konzentrationslager Neuengamme in Hamburg. Hier nahm die SS ihm seinen Siegelring und seine Taschenuhr ab.

Die Taschenuhr und der Siegelring von Rabia Boucif

Rabia musste im Außenlager Hannover-Stöcken schwere körperliche Zwangsarbeit leisten. Wenige Wochen vor Kriegsende schickten die Nationalsozialisten ihn mit anderen Häftlingen auf einen Todesmarsch in die norddeutsche Kleinstadt Gardelegen. Rabia Boucif starb am 11. April 1945 während dieses Todesmarsches oder wurde in Gardelegen ermordet. Zwei Tage später massakrierten SS-, SA- sowie Wehrmachtsangehörige in einer Scheune in Gardelegen ca. 1000 KZ-Häftlinge. Rabia Boucif wurde zusammen mit den Opfern dieses Verbrechens auf dem späteren Ehrenfriedhof beigesetzt. Erst durch die aktuellen Recherchen konnte eine Mitarbeiterin der Arolsen Archives sein Grab identifizieren, das bisher einem anderen Häftling zugeordnet worden war.

Erfolgreiche Familienrecherche

Nach dem Krieg reiste einer von Rabias Söhnen nach Frankreich, um Spuren des Vaters zu finden. Trotz Suche und Nachfragen an vielen verschiedenen Orten, erhielt er nirgendwo eine Antwort. Inzwischen leben Rabias Nachfahren schon lange in Frankreich. Nun fand die Freiwillige Chloé Szaibrum, deren Großvater auch von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, Rabias Enkel und Urenkel.

Endlich Klarheit über das Schicksal des Urgroßvaters zu haben ist für die Familie fast wichtiger als die Erinnerungstücke zurück zu bekommen. Auch in diesem Fall trägt die #StolenMemory-Kampagne dazu bei, schmerzliche Lücken in einer Familiengeschichte zu füllen. Als nächstes möchte die Familie das Grab von Rabia in Gardelegen reisen. Kabir Boucif dankte allen Beteiligten und sagt über die Arbeit der Arolsen Archives:

„Ich bin Krankenpfleger und heile die Körper. Ihr heilt die Herzen.“ Kabir Boucif

Erinnerungsstücke von jüdischen NS-Opfern

Untern den rund 2.500 Umschlägen mit persönlichen Gegenständen, die die Arolsen Archives aufbewahren, befinden sich nur in seltenen Ausnahmen solche von jüdischen Verfolgten. Umso bemerkenswerter ist es, dass bei der Rückgabezeremonie am 30. Juni 2023 im Pariser Rathaus auch die Familien von zwei jüdischen Verfolgten deren Erinnerungsstücke zurückerhielten.

Beide, Anna Heham und Edgar Kofler, waren in der Zwischenkriegszeit jeweils aus Osteuropa nach Frankreich ausgewandert. Die Nationalsozialisten ermordeten viele Mitglieder von Anna Hehams Familie. Anna selbst überlebte die Haft im Konzentrationslager Ravensbrück und dem Außenlager Hannover-Limmer. Sie kehrte zuerst nach Frankreich zurück und wanderte später in die Sowjetunion aus. Edgar Kofler schloss sich der Résistance an und wurde drei Jahre später von der Gestapo verhaftet. Zusammen mit mehr als 5.000 anderen KZ-Häftlingen kam er beim Untergang des KZ-Schiffes Cap Arcona in der Lübecker Bucht ums Leben.

Anne Hidalgo begrüßt die Angehörigen von Edgar Kofler

Aktuell tourt die Wanderausstellung #StolenMemory durch Frankreich und erzählt von den Schicksalen weiterer Verfolgter und der Suche nach ihren Angehörigen.

Alle Daten zur Ausstellung sind auf der Webseite zu finden.

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