Eine Uhr als letzte Erinnerung an den verschollenen Vater

80 Jahre lang hat Zbigniew Miłecki nichts von seinem Vater gehört. Dann klingelt das Telefon. Es ist kein Lebenszeichen, keine Nachricht, die den Vater wieder zurückbringt, aber eine, die die Erinnerung an ihn zum Leben erweckt: Es gibt noch seine Uhr, aufbewahrt in den Arolsen Archives, geraubt im KZ Sachsenhausen.

Es war ein berührender Moment, den die #StolenMemory-Freiwilligen erleben durften: Am 16. Februar hat Zbigniew gemeinsam mit seiner Frau Anna in Warschau die Uhr seines Vaters persönlich entgegengenommen. Familiengeschichte, Fotos und Dokumente seien sehr wichtig für sie, betonten die beiden während der Zeremonie, sie nähmen einen wichtigen Platz in ihrem Leben und in ihrer Geschichte ein.

In Warschau geboren, nach Deutschland verschleppt

Zbigniews Eltern, Bronisław und Zofia Miłecki, lebten zur Zeit der deutschen Besatzung in Warschau. Er selbst kam während des Zweiten Weltkriegs zur Welt. Im Warschauer Aufstand 1944, der Junge ist gerade einmal acht Monate alt, verschleppten die deutschen Besatzer die komplette Familie. Die Nationalsozialisten brachten sie zunächst in das Durchgangslager in Pruszkow. Mutter und Sohn kamen anschließend ins Arbeitslager Meinkingsburg, nördlich von Hannover. Den Vater sah die Familie nie wieder.

Heute weiß Zbigniew: Bronisław kam zunächst ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort nahmen ihm die Aufseher seine Uhr ab. Später verschleppten die Nazis ihn in das Konzentrationslager Neuengamme. Das geht aus in den Arolsen Archives verwahrten Dokumenten hervor. Danach verliert sich seine Spur.

Die Uhr von Bronisław Miłecki

Mutter Zofia musste trotz ihrer Schwangerschaft in Nienburg an der Weser Zwangsarbeiten im Wald verrichten. Noch heute erzählt Zbigniew davon, wie er von seiner Mutter damals mit einem Wassermehl-Gemisch gefüttert wurde. Sie hatte den Brei mit einem Löffel über einer Kerze erhitzt, um ihm eine warme Mahlzeit bieten zu können.

Geburt seiner Schwester in Krakau

Vermutlich blieben Sohn und Mutter bis Dezember 1944 im Arbeitslager. Dann wurden sie, Zofia hochschwanger, in einen Zug in Richtung Berlin Zoo gesetzt. Von dort aus ging es weiter nach Krakau. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Zofia Ende Januar oder Anfang Februar 1945 hier Zbigniew Schwester zur Welt brachte.

Kurz nach dem Krieg kehrte sie mit ihren beiden kleinen Kindern nach Warschau zurück. Sie starb an Tuberkulose, auch weil ihr erschöpfter Körper sich nie von der Zwangsarbeit erholte. Ihre Kinder waren damals zehn und elf Jahre alt. Die Großeltern übernahmen die Erziehung. Das Schicksal von Vater Bronisław blieb für seine Familie lange ungeklärt. Bis sich die #StolenMemory-Freiwillige Manuela Golc bei Zbigniew meldete.

Eine Erinnerung vom vermissten Vater

Manuela ist mittlerweile Expertin im Aufspüren von Angehörigen von NS-Opfern, von denen die Arolsen Archives Gegenstände verwahren. Schon 50 Familien hat sie gefunden. Im letzten Jahr machte sie sich auf die Suche nach den Nachfahren von Bronisław Miłecki und fand heraus: Sein Sohn Zbigniew lebt noch. Auf seine Spur ist sie auch durch einen Gartenwettbewerb in Warschau gestoßen. Die Gewinnerin: Anna Miłecka, Zbigniews Frau. Manuela Golc erhält die Telefonnummer und ruft Zbigniew an. Zunächst konnte er gar nicht glauben, dass ein Andenken an seinen Vater erhalten geblieben war, den Mann den er nur aus den Erzählungen seiner Mutter und Großeltern kannte, erzählte er bei der feierlichen Übergabe der Uhr im Februar.

Die Uhr des Vaters ist ein weiteres Puzzleteil der bruchstückhaften Familiengeschichte. Von Mutter Zofia ist ein Kosmetikkoffer aus Kriegszeiten erhalten geblieben. Auch gibt es ein Hochzeitsfoto der Eltern, Kinderfotos von Zbigniew und seiner Schwester sowie ein Foto von Mutter Zofia, das für ihre Akte als Zwangsarbeiterin gemacht wurde.

Fotos aus dem Familienarchiv

Warschauer Aufstand. Unbekannte Geschichten

Die Arolsen Archives bewahren noch viele persönliche Gegenstände von Menschen auf, die während des Warschauer Aufstands deportiert wurden. Dieser jährt sich zum 80. Mal. Deswegen starten wir dieses Jahr die Kampagne „Warschauer Aufstand. Unbekannte Geschichten“. Gemeinsam mit Institutionen, Medien, Schulen und Privatpersonen möchten wir die Familien von mindestens 100 Personen ausfindig machen, ihnen die Gegenstände zurückgeben und somit helfen, Familiengeschichten und persönliche Schicksale zu rekonstruieren.

Wir danken allen, die sich an der Suche beteiligen und so dazu beitragen, an die Opfer zu erinnern.

Das Logo der Kampagne zum Warschauer Aufstand

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